Wohnung der Familie Kuza

Ayano fixierte ihren Bruder mit eindringlichem Blick. Doch entgegnen konnte sie nichts mehr, da im nächsten Augenblick wieder Yuiko zu ihnen kam. Sie schien sich wirklich Sorgen um Shinya zu machen und drängte diesen geradezu in die Dusche. Nach kurzem Zögern nickte Ayano schließlich zustimmend. Was blieb ihr auch anderes übrig? Auch war ihr klar, dass sie beim Essen genauso wenig weitersprechen würden. Nicht weil Yuiko dann dabei war, sondern einfach weil sie wusste, dass sie bei Shinya zu keinem anderen Ergebnis kommen würde. Wohl oder übel musste sie abwarten, bis er wieder schwächelte, damit sie ihre Drohung, der er indirekt zugestimmt hatte, einlösen konnte. Auch wenn es Ayano Magenschmerzen bereitete, dass sie es erst so weit kommen lassen musste. "Yuiko hat Recht." Dabei schaute sie kurz ihre Schwester an. "Du duschst jetzt erst einmal, und dann bekommst du was zu essen." Vielleicht gab Ayano dieses Mal nach, das änderte aber nichts daran, dass sie aufgebracht war und es sich daher nicht nehmen ließ, ihren Bruder herum zu kommandieren. "Magst du mir helfen, Yuiko?", wandte sie sich wieder an die Grünhaarige und verließ dann beinahe fluchtartig den Raum. Da war sie heute so nett zu Shinya gewesen und so dankte er es ihr. In Gedanken begann Ayano das Essen, welches noch nicht ganz abgekühlt war, wieder aufzuwärmen.

Es war offensichtlich, dass Ayano gerade ziemlich angefressen war, weswegen Shinya es vermied, noch etwas zu ihr zu sagen. Stattdessen schaute er ihr dabei zu, wie sie den Raum verließ und kratzte sich dann am Hinterkopf. Erst dann verschwand er ins Badezimmer, wo er sich sogleich seiner nassen Kleidung entledigte. Es hatte die letzten Tage immer mal wieder geschneit, doch gerade war es wirklich extrem. Wenn es die Nacht so weiter schneite, dann würden sie morgen vermutlich nicht mehr das Haus verlassen können. Ob die Stadt auf solch ein Unwetter wohl vorbereitet war? Erneut strich sich der Junge durch seine nassen Haare, ehe er in die Dusche stieg. Das warme Wasser tat gut, auch wenn seine Gedanken letztendlich zu Selina schweiften. Sie hatte nichts böses von ihm gewollt und dennoch hatte sie eine solche Macht auf ihn ausüben können, vollkommen unbewusst. Es war schon unheimlich. Und trotzdem war er nicht abgeneigt, das Mädchen weiter kennen zu lernen. Doch wie würde sie morgen auf ihn reagieren? Würde sie überhaupt in die Schule kommen? Würde er es in die Schule schaffen? Wenn dieser Schnee ihm nun einen Strich durch die Rechnung machte, dann musste Shinya womöglich Tage warten, bis sie das klären konnten. Und es war nur so weit gekommen, weil Ayano sich hatte einmischen müssen. Shinya seufzte leise. Seine Schwester hatte es nur gut gemeint. Sie meinte es immer nur gut, auch wenn die Umsetzung nicht immer die beste war. Und er konnte ihr nicht einmal die volle Wahrheit anvertrauen. "Tut mir leid, Aya", murmelte Shinya leise, ehe er das Wasser wieder abdrehte. Wie würde er da nur wieder rauskommen?

Yuiko war sofort ihrer Schwester gefolgt, um ihr bei dem Essen für Shinya zu helfen. Ohne gebeten zu werden, räumte sie Teller und Besteck für den Jungen raus, während Ayano das Essen aufwärmte. Nachdem sie ihr einen Augenblick dabei zugeschaut hatte, wie ihre Schwester dem Essen in dem Topf zuschaute, wurde Yuiko doch von ihrer Neugierde übermannt. "Aya, was ist mit Shinya?" Ihr war nicht die schlechte Stimmung eben entgangen. Außerdem war Shinya ungewöhnlich früh zu Hause. Vielleicht war ihm ja etwas passiert. Mit einem Mal machte sich ein besorgter Ausdruck in Yuikos Gesicht breit. Er hatte aber nur etwas müde ausgesehen. Vielleicht war er bloß erschöpft, immerhin hatte auch er heute seinen ersten Schultag in dieser Stadt gehabt. Doch warum hatten sich ihre Geschwister dann gestritten? Auch wenn die beiden es stets vor ihr zu verbergen zu versuchten, so bekam Yuiko es meistens doch mit. Geradezu fordernd schaute sie ihre Schwester an, schließlich wollte sie auch wissen, was los war.

Überaus konzentriert schaute Ayano das Essen an. Sie versuchte möglichst wenig nachzudenken, immerhin würde es sie sowieso nicht weiter bringen. Shinya war ein sturer Bock und das würde er auch bleiben. Es war Yuikos Stimme, die das Mädchen aus ihren Gedanken riss und aufschauen ließ. Etwas überrascht war sie schon, dass Yuiko doch mitbekommen hatte, dass etwas nicht stimmte, hatte sie sich die ganze Zeit über doch normal verhalten. Vermutlich hätte sich Ayano aber eher Sorgen um ihre Schwester machen sollen, wenn das nicht der Fall gewesen wäre. Doch was genau sollte sie ihr nun antworten? Einerseits wollte sie nicht, dass Yuiko sich unnötig Sorgen machte, immerhin tat sie das bereits selbst. Andererseits wollte sie ihre Schwester auch nicht anlügen. "Ihm geht es heute nicht so gut, deswegen ist er früher von der Arbeit nach Hause gekommen", erklärte Ayano ruhig. Damit log sie nicht, aber verursachte hoffentlich auch nicht zu viele Sorgen bei ihrer Schwester. Dass Shinya müde war, war eben ja deutlich zu sehen gewesen. Dass er aber umgekippt war, das konnte sie durchaus verschweigen. Dann aber musste sie doch etwas Ärger, über ihren Bruder raus lassen. "Aber natürlich will er nicht auf mich hören, und sich etwas Ruhe gönnen. Da ist es kein Wunder, dass so etwas passiert." Genervt rammte sie den Löffel in die Spaghetti mit der Soße und zog den Topf vom Herd. Er kümmerte sich immer so sehr um sie, aber er selbst schien dabei zu kurz zu kommen.

Shinya hatte sich mit dem Duschen beeilt, hatte er immerhin großen Hunger. Es war nicht üblich, dass er um diese Uhrzeit schon so einen Kohldampf hatte, weswegen er auch das als Folge der Berührung mit Selina abtat. Anscheinend hatte das seinen Körper eine ganze Menge an Energie geraubt. Noch bevor er in die Küche kam, konnte er bereits das Essen riechen, was ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Er wusste sofort, dass es Nudeln mit Tomatensoße sein mussten. Nicht sonderlich überraschend, schließlich war das nicht nur Yuikos Lieblingsessen, sondern auch noch einfach zu machen. Würde er nicht manchmal das Kochen übernehmen, würden seine Schwestern vermutlich nur von Nudeln leben. "Das riecht wirklich gut." Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen betrat er die Küche. Anscheinend war er genau richtig gekommen, da Ayano den Topf gerade von der heißen Platte nahm. "Ich danke euch beiden." Mit diesen Worten trat er zu ihnen, um sich etwas des Essens auf den bereitgestellten Teller zu tun. Auch wenn Shinya es nie angezweifelt hatte, so war es doch schön, zu wissen dass sie sich ebenso um ihn kümmerten, wenn es ihm mal nicht gut ging. Er konnte sich wirklich glücklich schätzen, diese beiden als Schwestern bekommen zu haben.

Ayanos Worte bestätigten Yuikos Sorge. Shinya ging es wirklich nicht so gut. Wenn er schon früher von der Arbeit ging, dann musste es ernst sein, das war selbst dem Mädchen klar. Als dieser im nächsten Augenblick jedoch in die Küche kam, schien er bestens gelaunt. Er sah nach wie vor etwas müde aus, aber ansonsten schien ihm nichts zu fehlen. Nachdem Yuiko ihren Bruder dabei zugeschaut hatte, wie er sich von dem Essen nahm, wanderte ihr Blick wieder zu Ayano. Sie war wirklich genervt und das muss auch der Grund gewesen sein, aus dem sie sich vorhin gestritten hatten. Die Grünhaarige konnte innerlich nur mit dem Kopf schütteln. Die beiden schienen sich immer mehr um den jeweils anderen zu sorgen, als um sich selbst. Ihr war klar, dass Shinya nichts ernsthaftes zustoßen würde, solange Ayano ein Auge auf ihn hatte. Eine Tatsache, die Yuiko ungemein beruhigte. "Shinya, ich hab die Nudeln gemacht", teilte sie ihrem Bruder stolz mit, während sie zum Tisch ging, um ihm beim Essen Gesellschaft zu leisten. Ob es ihm nun gut ging oder nicht. Sie wollte die Zeit mit ihren Geschwistern genießen und sie für diese ebenso angenehm machen. Jetzt, wo sie wieder zur Schule gingen, würden sie vermutlich noch weniger Zeit miteinander verbringen können, als sowieso schon.

Während der Dusche schien Shinya sämtliche Emotionen von ihrem Gespräch von eben abgewaschen zu haben. Als er nun in die Küche kam, war er fröhlich wie eh und je, als wäre nichts gewesen. Normalerweise hasste Ayano es, wenn er sich so verhielt, zumal sie eben indirekt ausgemacht hatten, später weiter zu sprechen. Im Moment war es wohl aber am besten so. Ohne es zu merken, hatte auch Ayano sich während es Aufwärmens etwas abgeregt. Vielleicht hatte es aber auch daran gelegen, dass sie Yuiko gegenüber eben etwas Frust abgelassen hatte. Diese schien darüber aber gar nicht weiter nachzudenken, da sie im nächsten Moment ihren Bruder stolz mitteilte, dass sie die Nudeln gekocht hatte. Das war ihre Schwester, wie sie sie kannte. Und wenn es nur eine Kleinigkeit war, Yuiko war immer gleich stolz und wollte die Anerkennung ihres Bruders. Ayano konnte nicht anders, als zu lächeln und ihren Geschwistern zu folgen. Fürs erste hatten sie genug gestritten und sollten stattdessen den gemeinsamen Abend genießen, der ihnen so unerwartet gegeben worden war. "Und die hast du sehr gut gemacht", wandte sich Ayano an ihre Schwester, nachdem sie sich neben sie gesetzt hatte. "Ohne sie wäre die Soße nur halb so lecker." Dabei konnte sie sich ein breites Lächeln nicht verkneifen.

Ohne zu zögern folgte Shinya seinen Schwestern zum Tisch. Anscheinend wollten sie ihm beim Essen Gesellschaft leisten, obwohl sie bereits gegessen hatten. Natürlich freute er sich enorm darüber. Yuiko begann auch sofort von den Dingen zu erzählen, die sie heute gemacht hatte. Gerade wenn es ums Kochen ging, war das Mädchen immer voller Begeisterung. "So?" Mit einem Lächeln auf den Lippen aß er eine Gabel voll von dem Essen. Wie sollte er sich auch dazu äußern, wenn er noch gar nicht probiert hatte? "Ayano hat Recht, die Nudeln schmecken wirklich traumhaft", lobte er seine kleine Schwester. Sie schmeckten wie immer und es war immer das, was er ihr sagte, wenn sie Nudeln gekocht hatte. Doch wie konnte er etwas anderes sagen, wenn er so mit dem reinsten und unschuldigsten Lächeln beschenkt wurde, das er je kennen gelernt hatte und das mit Sicherheit jeden Augenblick kommen würde? Wenn das alles war, was es brauchte um Yuiko glücklich zu machen, dann wäre für ihn alles, was ihren Händen entsprang, eine Geschmacksexplosion. Bei seinen Gedanken musste der Junge kurz schmunzeln. Auch wenn er sich nach wie vor Gedanken darum machte, ob der Vorfall heute irgendwelche Konsequenzen für seinen Job haben würde, so war er doch dankbar dafür, den Abend so mit seiner Familie verbringen zu können. Jetzt fehlte nur noch ihr Vater. Doch am Anfang der Woche würde dieser kaum unerwartet auftauchen.

Während Ayanos Worte Yuiko bereits voller Freude strahlen ließen, fügte Shinyas Lob noch das begeisterte Funkeln in ihren Augen hinzu. "Ich will jetzt jeden Tag was kochen, damit ich irgendwann genauso gut bin, wie ihr beiden", teilte sie begeistert mit. Jetzt wo Shinya weniger Zeit für sie haben würde, sollte auch Yuiko langsam anfangen, selbstständiger zu werden. "Dann musst du dir darum keine Sorgen mehr machen", wandte sie sich an Shinya, wobei sie nicht nur stolz, sondern auch entschlossen klang. "Und du wirst immer etwas leckeres zu essen haben, wenn du nach Hause kommst." Genau. So konnte sie ihren Bruder nicht nur etwas entlasten, sondern ihm auch unter die Arme greifen. Wenn sie selbst und Ayano schon nicht auch arbeiten gehen durften, dann könnten sie dem Jungen zumindest alle anderen Aufgaben im Haushalt abnehmen. Mittlerweile war schließlich sie selbst bereits alt genug dazu. Geradezu fragend wanderte ihr Blick dann zu Ayano. Immerhin würde sie ohne deren Zustimmung nicht weit kommen. Sich selbst das Kochen beizubringen traute sich Yuiko dann doch nicht zu.

Die Freude, die Yuikos Gesicht ausstrahlte, ließ Ayano letztendlich auch noch ihren restlichen Ärger über Shinyas Verhalten vergessen. Dass ihre Schwester mit solchen Kleinigkeiten derart glücklich zu machen war, erfreute Ayano immer wieder. Dieses Mal schien die Bestätigung aber noch für etwas anderes zu sorgen bei dem Mädchen. Auf einmal kam sie mit der Idee um die Ecke, ernsthaft Kochen zu lernen und damit Shinya eine Last zu nehmen. An sich eine wirklich gute Idee, die auch Ayano bereits gehabt hatte. Denn auch wenn sie lieber nicht so viel machte, so musste sich ihr Bruder nicht derart übernehmen und alles alleine erledigen. Doch das Kochen hatte er immer geradezu an sich gerissen. Als Ayano ihn das letzte mal deswegen gefragt hatte, hatte er nur gemeint, dass er nur so darauf achten konnte, dass sie sich auch wirklich abwechslungsreich und gesund ernährten. So im Nachhinein betrachte musste sich Ayano nun doch darüber ärgern, auch wenn sie es damals einfach so hingenommen hatte. Wie er also nun auf Yuikos Vorschlag reagierte, interessierte das Mädchen wirklich sehr. Vielleicht hatte er seine Meinung, jetzt wo er nebenbei auch nur zur Schule gehen musste, ja geändert. "Yuiko, das ist eine super Idee. Ich werde dir alles beibringen, was ich kann. Und dann werden wir zusammen all unsere Kochbücher durcharbeiten." Geradezu begeistert schaute sie ihre kleine Schwester an, die sie anscheinend mit ihrer Laune angesteckt hatte. Mit ihr zusammen würde das Kochen auf jeden Fall nicht so langweilig werden. Ob Shinya sie damit allerdings durchkommen lassen würde, war eine andere Sache.

Hatte Shinya sich gerade noch über die pure Freude seiner Schwester gefreut, so wurde er im nächsten Augenblick von ihren Worten geradezu überrumpelt. Mehr als entschlossen verkündete Yuiko ihr Vorhaben, und dass sie in Zukunft für ihn kochen wollte. Natürlich freute er sich sehr darüber, dass sie sich um ihn kümmern wollte, doch wirklich zufrieden war der Junge mit diesem Gedanken nicht. "Yuiko, das ist wirklich lieb von dir. Aber du brauchst dir nicht mehr Mühe als nötig machen. Ich bekoche euch wirklich gerne." Auch wenn es ihm natürlich viel Arbeit abnehmen würde, jetzt wo er zusätzlich noch zur Schule musste. Er müsste abends nach der Arbeit noch etwas kochen, wobei das vielleicht schon zu spät zum Essen wäre. Vielleicht könnte er die Sachen auch vorkochen und dann einfrieren, so dass sie sich diese nur aufwärmen mussten. Vielleicht war es dumm von ihm, so zu denken, doch er hatte Vater versprochen, dass er sich um die beiden kümmern würde. Und es genügte schließlich, wenn einer von ihnen die Last tragen musste. Seine Schwestern sollten sich noch nicht mit solchen Dingen herumschlagen müssen und stattdessen ihre Schulzeit, so weit es eben ging, genießen. Ihm war schon klar, dass er vermutlich eine neue Diskussion damit lostreten würde, aber letzte Mal hatte sich Ayano auch relativ schnell überreden lassen.

Unerwarteterweise lehnte Shinya ihr Angebot ab, was Yuiko ihren besten Schmollmund aufsetzten ließ. Sie verstand nicht, warum ihr Bruder so reagierte, es machte ihr doch gar keine Mühe. "Aber ich will dich auch bekochen können. Und überhaupt will ich kochen lernen, damit ich mich irgendwann mal auch um mich selbst kümmern kann." Natürlich würde sie es trotzdem machen, auch wenn Shinya es nicht wollte. Schließlich konnte der Junge nicht beeinflussen, was sie beide taten, wenn er nicht zu Hause war. Und Ayano hatte bereits zugestimmt ihr zu helfen, was ihre Freude nur noch gesteigert hatte. Umso beleidigter schaute sie nun ihren Bruder an. "Du kannst uns doch weiterhin Frühstück machen und wir kümmern uns dann um das Abendessen", schlug Yuiko vor, in der Hoffnung irgendwie einen Kompromiss zu finden. Trotz allem wollte sie natürlich, dass sie gemeinsam zu einer Einigung kamen, die für alle in Ordnung war. "Das Frühstück ist immerhin die wichtigste Mahlzeit des Tages und ich könnte niemals so früh aufstehen, um etwas so leckeres zu machen, wie du es immer tust", schmeichelte sie Shinya. Doch es stimmte auch. Nur selten gab es so etwas schlichtes wie Brötchen oder gar Müsli, wie sie es von früher gewohnt war, zum Frühstück. Shinya machte ihnen immer etwas warmes, was sie wirklich sättigte und bis zum Mittagessen ohne Probleme durchhalten ließ.

Shinya war also so stur wie eh und je. Ayano regte sich nicht einmal wirklich darüber auf, hatte sie immerhin damit gerechnet. Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte, war Yuikos Versuch, den Jungen irgendwie zu überreden. Dabei konnte sich Ayano ein Grinsen nicht verkneifen. Ihre Schwester war immer für Überraschungen gut und gerade bewies sie, dass sie nicht nur in der Lage war, Kompromisse zu suchen, sondern auch ihre Aussagen so schmeichelnd formulieren konnte, dass sie eher zu ihrem gewünschten Ergebnis kam. Da Shinya ihre Worte vermutlich aber genauso durchschauen würde, würden sie in diesem Fall wohl eher weniger bringen. Das hieß jedoch nicht, dass Ayano nicht ebenfalls darauf aufspringen würde. "Shinya, ich bezweifle, dass es für Yuiko irgendeine Mühe machen würde, wenn sie ihrem großen Bruder einen Gefallen machen kann. Außerdem kocht sie so gerne, es wäre schon gemein, ihr das nicht beizubringen." Sie warf dem Jungen einen eindringlichen Blick zu, ehe sie weiter sprach. "Und mal davon abgesehen, dass du uns immer noch morgens bekochen kannst, wirst du jetzt einfach keine Zeit mehr dazu haben. Ich schätze mal, das weißt du genauso gut wie ich. Nach der Schule musst du direkt arbeiten und wenn du nach Hause kommst ist es schon zu spät. Aber mir geht es nicht nur darum. Du hast dich jetzt schon so lange um uns gekümmert, wir sind nun wirklich alt genug dir dabei zu helfen. So sehr du das vielleicht auch magst, es ist jetzt an der Zeit, dass du auch mal etwas an dich denkst und deinen Interessen nachgehst. Shinya, wenn du die Chance hast neue Freundschaften zu schließen, dann ergreif sie. Es wird dir gut tun, glaub mir. Und wer weiß, was sie dir in der Zukunft noch bringen werden." Und damit bezog sich Ayano nicht nur auf Selina. Durch sein aufopferndes Wesen hatte Shinya eigentlich nur seine Geschwister in seinem Leben. Und auch wenn sie wusste, dass er damit im Moment mehr als zufrieden war, würde sich die Situation irgendwann vielleicht ändern. Er hatte ja nicht einmal mit seinen Arbeitskollegen richtigen Kontakt. Er brauchte definitiv jemanden, mit dem er sprechen konnte und der nicht seine Schwestern waren. Und wenn sie ihn in solch eine Beziehung prügeln musste, Ayano würde es versuchen.

Während Yuikos Worte Shinya zum Nachdenken brachten, immerhin glaubte er dem Mädchen, dass auch es Spaß daran hatte, ihn zu bekochen und sie so beide zufrieden wären, wenn jeder eine Mahlzeit übernahm, begann Ayano damit, ihm einen Vortrag über sein Sozialleben zu halten. Vielleicht hätte er sich darüber geärgert, wenn das Mädchen ihm dabei nicht einen derart ernsten Blick zugeworfen hatte, der ihm deutlich machte, dass es ihr gerade nicht nur um die Verteilung Hausarbeiten ging. Sie machte sich wirklich Sorgen um ihn. Doch was sollte er darauf entgegnen? Sie hatte es selbst gesagt, Shinya war mehr als zufrieden damit, seine Geschwister zu haben. Wozu brauchte er dann Freunde, für die er sowieso keine Zeit haben würde? Er konnte ja nicht mal den beiden vor ihm gerecht werden. Und trotzdem musste er an Selina denken. Das Mädchen wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen und er war sich ziemlich sicher, dass es nicht nur daran lag, dass sie eine Infizierte war. "Aya. Ich weiß, was gut für mich ist und was ich brauche. Wenn ich das Bedürfnis habe, mich mit jemandem anzufreunden, dann werde ich das tun. Aber dafür müsst ihr mir keine Zeit schenken." Es war kein wirkliches Argument dagegen, dass er das Zubereiten des Abendessens abgeben sollte, schließlich hatte er dafür so oder so keine Zeit mehr. Er wenn er Freizeit übrig hatte, dann wollte er diese doch lieber für seine Schwestern oder zum Lernen für die Schule nutzen. Zusätzliche Freundschaften waren wirklich nichts, was er momentan brauchte oder wollte.

Besorgt schaute Yuiko zwischen ihren Geschwistern hin und her. Obwohl sie es nicht böse gemeint und ihre Worte genau gewählt hatte, war die entspannte Stimmung von eben auf einmal wieder umgeschlagen. Es war als würde sich der Streit von vorhin fortsetzen. Anscheinend gab es mehrere Dinge, die Ayano störten und Shinya wollte sich einfach nichts einreden lassen und seinen eigenen Kopf durchsetzen. Verzweifelt überlegte die Grünhaarige, wie sie die beiden wieder beruhigen konnte. "Shinya! Aya! Ich wollte nicht, dass ihr streitet. Wenn es so schlimm ist, dann werde ich kein Abendessen kochen, okay?" Dabei schaute sie zu Shinya, in der Hoffnung ihn etwas beschwichtigen zu können. Mittags nach der Schule konnte sie ja trotzdem noch mit Ayano üben. "Und Aya, er ist alt genug um sich seine Freunde selbst auszusuchen, oder?" Sie hatte zwar Recht damit, dass der Junge nie wirklich Zeit mit anderen verbrachte, aber das störte das Mädchen nicht. Schließlich tat sie das auch nicht. Warum auch, wenn sie ihre Geschwister hatte? "Ich dachte nur, dass wir als Familie vielleicht zusammenhalten und die Aufgaben im Haushalt etwas aufteilen sollten. So wie wir es früher auch gemacht haben. Du machst schon so viel für uns und dann dürfen wir dir nicht einmal mehr helfen. Das ist gemein." Sie verschränkte ihre Arme, wobei sie ihren besten Schmollmund aufsetzte. Yuiko wusste genau, dass ihr Bruder diesem nicht widerstehen konnte.

Es war tatsächlich Yuiko, die sich einmischte um den Streit zumindest kurz zu unterbrechen. Das Mädchen hatte schon immer empfindlich auf schlechte Stimmung reagiert, weswegen sie auch eigentlich dazu übergegangen waren, Dinge nicht in ihrer Gegenwart auszudiskutieren. Bei den Argumenten, die die Grünhaarige nun aber brachte, war das vielleicht gar keine so gute Entscheidung gewesen. Obwohl Ayano am liebsten noch etwas auf den Einwand ihr gegenüber erwidert hätte, so konnte sie Yuiko in dem nachfolgenden Punkt mehr als nur zustimmen. Sie hatte es genau auf den Punkt gebracht. Sie waren eine Familie und sollten sich in der Abwesenheit ihres Vaters gemeinsam um den Haushalt kümmern. Shinya musste nicht in die Elternrolle schlüpfen, nur weil er jetzt volljährig war. Das war idiotisch. Sie konnten alle einen Teil der Arbeit übernehmen und trotzdem noch ihre Freizeit genießen. Ayano war sich sicher, dass auch Kinder in Haushalten mit beiden Elternteilen Aufgaben übernehmen mussten und trotzdem glücklich sein konnte. Shinya war einfach überfürsorglich. Sie lachte kurz trocken auf. "Stimmt, du bist alt genug, um solche Dinge alleine entscheiden zu können. Tut mir leid, dass ich dich so zwingen wollte", entschuldigte sich Ayano bei ihrem Bruder, auch wenn sie es nur gut gemeint hatte. Er war vom Charakter her nun einmal doch vollkommen anders, als sie selbst. "Allerdings solltest du auch alt genug sein, um anzuerkennen, dass Yuiko Recht hat. Wir wohnen hier alle zusammen und sollten uns demnach alle zusammen darum kümmern, ein angenehmes Zusammenleben zu haben." Dabei bohrte sich ihr Blick geradezu in ihren Bruder. Wenn der sich jetzt immer noch stur stellte, dann wusste Ayano ihm auch nicht mehr zu helfen.

Da hatten sich seine Schwestern ja genau den richtigen Zeitpunkt ausgesucht, um sich wie Aasgeier auf ihn zu stürzen. Sein Hunger war nun zwar gestillt, doch seine Müdigkeit war nur noch stärker geworden. Und dann redeten sie derart intensiv auf ihn ein, dass ihm eigentlich gar nichts anderes übrig blieb, als ihnen zuzustimmen. Was ihn letztendlich aber wirklich überzeugt, waren Yuikos Worte. Auch ohne Ayanos scharfen Kommentar dazu. Seine kleine Schwester war wirklich geschickt im Umgang mit Worten, was er durch ihr naives Auftreten manchmal vergaß. Selbst wenn er jetzt noch hätte etwas erwidern wollen, nachdem die beiden Mädchen derart auf ihn eingeredet hatten, fiel es seinem müden Kopf schwer, noch über irgendetwas nachzudenken. Also seufzte er schließlich einfach nur. "Ist ja gut, macht was ihr wollt." Und obwohl es ihm gar nicht bewusst gewesen war, so fühlte er sich auf einmal doch erleichtert, als wäre eine kleine Last von ihm abgefallen. Dieses Gefühl schob er darauf, dass er nicht gewusst hatte, wie er seinen Schwestern ein warmes Mittagessen hätte bieten können. "Aber dann müsst ihr euch auch um eure Aufgaben kümmern, ich will keine Ausreden hören." Sein strenger Blick ruhte vor allem auf Ayano. Das Mädchen mochte jetzt noch motiviert sein, doch würde es auch in Zukunft so bleiben? Gewisse Aufgaben im Haushalt mussten erledigt werden und würden bei Aufschiebung nur Probleme verursachen. Zwar war ihm durchaus klar, dass man so etwas unter Umständen nur durch persönliche Erfahrung lernen konnte, trotzdem wollte er seine Schwestern davor bewahren.

Nachdem Ayano ihr mal wieder mit deutlich schärferen Worten zugestimmt hatte, gab Shinya überraschenderweise doch nach. Und obwohl sie sich gerade vermutlich eine menge Arbeit aufgebunden hatte, so konnte das Mädchen nicht anders, als breit zu lächeln. Nicht nur konnte sie so ihren Bruder unterstützen und selbst etwas für sich lernen. Auch vertraute Shinya ihr solche wichtigen Aufgaben wie das Abendessen zubereiten an. Das war etwas, was Yuikos geringem Selbstbewusstsein unglaublich gut tat. "Keine Sorge, Shinya. Ich werde jeden Tag etwas warmes zubereiten und danach noch abspülen, versprochen." Sie war so voller Motivation, dass sie nicht anders konnte, als von ihrem Stuhl aufzuspringen und zu ihrem Bruder so eilen, um ihn zu drücken. Danach nahm sie, wie um ihre Worte zu unterstreichen, seinen leeren Teller, um mit diesem zur Spüle zu eilen. Sie würde gleich jetzt damit beginnen. Und je schneller sie damit begann, desto einfacher war es. Danach würde sie noch die beiden Töpfe sauber machen und dann hatte sie diese Aufgabe schon erledigt. Nichts einfacher als das.

Obwohl sie Shinya hatte überreden wollen, so war Ayano doch etwas überrascht, als dieser tatsächlich zustimmte. Yuiko reagierte natürlich sofort und stürmte beinahe überglücklich zu ihrem Bruder. Als sie dann auch noch damit begann, ihre selbstauferlegte Aufgabe des täglichen Spülens zu beginnen, schaute Ayano ihr in Gedanken hinterher. "Damit hast du sie auf jeden Fall sehr glücklich gemacht", merkte sie leise an und wandte sich dann ihrem Bruder zu. Er sah ziemlich müde aus. Vielleicht war das auch der einzige Grund gewesen, aus dem sie ihn hatten überzeugen können. Aber Ayano konnte das nur recht sein. "Mach dir nicht so viele Gedanken, Shinya. Ich werde ihr beim Kochen helfen und auch sonst schauen, wo ich im Haushalt mit anpacken kann. Es wird ihr gut tun, wenn sie eine feste Aufgabe hat, genauso wie dir." Sie schenkte ihrem Bruder ein kurzes Lächeln, ehe sie ebenfalls aufstand und sich streckte. Der Tag war kurz und relativ unspektakulär für Ayano gewesen. Trotzdem war sie müde und da sie morgen wieder früh aufstehen musste, wäre das Bett ihre nächste Anlaufstelle. "Du bist ziemlich fertig, oder? Geh doch schon mal schlafen. Ich bleib hier bei Yuiko, bis sie auch fertig ist." Ein bisschen kam sich Ayano gerade vor, als würde sie in die Rolle der fürsorglichen Hausfrau schlüpfen, doch wenn sei ihn nicht dazu aufforderte, würde Shinya vermutlich noch hier am Tisch einschlafen.

All seine Zweifel darüber, dass er dem Willen seiner Schwestern nachgegeben hatte, vergaß Shinya, als Yuiko auf einmal überglücklich zu ihm stürmte, um ihn zu drücken. Das Mädchen war so aufgeregt, dass sie sich sofort an ihre neue Aufgabe machte. Natürlich hatte Ayano damit recht, dass er sie damit glücklich gemacht hatte, die Frage war nur wie lange. Natürlich wollte er seiner Schwester nichts unterstellen, doch er war auch einmal in diesem Alter gewesen und wusste daher nur zu gut, wie es war solche Aufgaben zu übernehmen. Irgendwann wurde es auch langweilig. Für den Augenblick war Yuiko glücklich und das war doch alles was zählte. Vielleicht war an Ayanos Worten etwas dran. Er sollte sich etwas mehr entspannen. Er konnte sich auch um seine Schwestern kümmern, wenn er nur darauf achtete, dass diese ihren Teil beitrugen und im Falle eines Falles einsprang. Hoffentlich dachte er morgen auch noch so darüber, wusste Shinya schließlich, wie schwer es ihm fiel, eine solche Aufgabe aus der Hand zu geben. Als ihn seine Schwester dann aber auch noch ins Bett schicken wollte, ärgerte sich Shinya doch etwas. Nicht über ihre Worte, sondern darüber, dass sie auch damit Recht hatte. Er war verdammt müde. Und so gut es sich auch anfühlte, Menschen um sich zu haben, die sich um einen sorgten, so wollte er doch nicht so schwach von ihnen gesehen werden. Doch es half alles nichts, er musste sich hinlegen. "Geht aber wirklich gleich ins Bett, sonst überlege ich es mir noch mal", drohte er Ayano an und stand dann ebenfalls auf. "Gute Nacht ihr beiden, ich wecke euch dann morgen früh." Mit diesen Worten verabschiedete er sich von ihnen und ging dann in seinen Raum. Kaum hatte sich der Junge in sein Bett gelegt, da war er auch schon ins Reich der Träume versunken.

Yuiko war nicht einmal mit dem ersten Topf fertig, da verabschiedete sich Shinya auch schon ins Bett. Es war mehr als unüblich, dass der Junge vor ihnen ins Bett ging, er schien den Schlaf also wirklich zu brauchen. "Gute Nacht, Shinya", rief sie ihrem Bruder hinterher, wobei sie mit ihrer nassen Hand winkte und etwas Spülschaum in der Küche verteilte. Nachdem er in seinem Zimmer verschwunden war, wanderte ihr Blick sofort zu Ayano. "Aya, fangen wir morgen nach der Schule gleich mit dem Kochen an?" Yuiko konnte ihre Vorfreude nicht verbergen, geschweige denn noch eine Sekunde länger zurück halten. Nicht nur würde sie so noch mehr Zeit mit ihrer Schwester verbringen, sondern auch das Kochen lernen. Und wenn sie das besser konnte, könnten sie vielleicht auch mal etwas backen. Das war etwas, was das Mädchen nie wirklich gemacht hatte, was aber unglaublich spannend klang. Vor allem wohl, weil sie eine Schwäche für süße Dinge hatte. Mit ein paar leckeren Keksen würde sie sicherlich auch in der Schule schneller Kontakt finden. Bei diesem Gedanken musste Yuiko noch etwas breiter grinsen. So doof dieser Tag auch begonnen hatte, letztendlich war er doch noch ganz schön geworden. Auch wenn es doof war, dass es Shinya nicht ganz so gut ging.

Bevor Shinya in seinem Zimmer verschwand, nickte Ayano ihm noch zustimmend zu. Sie würde gleich ebenfalls ins Bett gehen, immerhin wollte sie morgen früh fit sein, um endlich die Infizierten in ihrer Klasse kennen zu lernen. Für den Augenblick war das Mädchen aber froh, dass Shinya tatsächlich auf sie gehört hatte. Kaum war ihr Bruder allerdings weg, konnte Yuiko ihre Freude nicht mehr zurückhalten, was Ayano grinsen ließ. "Nein", war ihre klare Antwort. Bevor ihre Schwester aber in lautes Empören ausbrach, sprach Ayano schnell weiter. "Bevor wir irgendwas kochen, bringe ich dir erst mal bei, wie man ordentlich Gemüse schneidet. Bis dahin wirst du mir lediglich assistieren. Wie bei einem richtigen Koch also." Sie zwinkerte ihrer Schwester zu. Natürlich würden sie trotzdem kochen. Bevor sie Yuiko aber beibrachte, wie der Herd funktionierte, oder wie bestimmte Gerichte zubereitet wurden, sollte sie erst einmal die Basics lernen. Und in der Zeit konnte sich Ayano dann einige Rezepte aneignen, immerhin hatte sie bei weitem nicht so viel Ahnung vom Kochen wie Shinya. "Aber jetzt müssen wir erst einmal schlafen, damit wir morgen auch fit sind. Also  beeil dich etwas." Wenn Yuiko so weiter machte, wäre eher die Küche sauber, als die beiden Töpfe, in denen sie herumschrubbte.

Als Ayano auf einmal doch nein sagte, setzte Yuiko sofort ihren Schmollmund auf. Dieser verschwand auch nicht, als ihre Schwester ihre Antwort erklärte. Wieso musste Ayano sie immer so ärgern? "Aber wir müssen trotzdem was leckeres für Shinya kochen. Ich werd ganz schnell ganz toll schneiden können, so dass du mir die wichtigen Sachen beibringen kannst, okay?" Auch wenn Yuiko klar war, dass das Schneiden die Grundlage des Kochens und somit enorm wichtig war, so wollte sie sich nicht am Erlernen dieses aufhalten. So schwierig konnte es auch nicht sein. Doch damit hatte sie ihre Zusage für morgen und das reichte ihr auch schon. Ihr Lächeln kehrte zurück und sie begann den letzten Topf deutlich schneller zu spülen. "Und schon fertig, siehst du?", verkündetet sie stolz, nachdem sie auch diesen Topf zum Trocknen zur Seite gestellt hatte. "Kommst du mit Zähne putzen?" Mit dieser Frage ging sie zu Ayano zurück. Immerhin wollte diese bereits schon ins Bett, wogegen Yuiko natürlich nichts hatte. Auch wenn sich die Grünhaarige nicht sicher war, ob sie momentan auch nur eine Sekunde ruhig liegen, geschweige denn schlafen konnte. Trotzdem würde sie sich gleich in ihrem Zimmer, das sie sich mit Ayano teilte, schlafen legen. Je schneller sie einschlief, desto schneller würde auch der morgige Tag kommen, an dem sie endlich richtig kochen lernen würde und nicht nur die einfachen Aufgaben machen musste.

Wie jeden Morgen wurde der Junge von seinem Wecker geweckt. Ohne noch länger liegen zu bleiben, schaltete Shinya ihn aus und setzte sich auf. Eigentlich stand er auch eigentlich immer gleich auf, dieses mal aber blieb er sitzen. Er fühlte sich nicht so fit wie sonst und es brauchte einen Moment, ehe er begriff, woran das lag. Er erinnerte sich an all das, was gestern geschehen war. Mit einem leisen Stöhnen griff er sich in die Haare und zog leicht an deren Spitzen. Er war gestern mit Selina, einer Infizierten, im Supermarkt gewesen, hatte sie angefasst und anschließend das Bewusstsein verloren. Und zu allem Überfluss war er danach auch noch nach Hause gegangen, anstatt zu arbeiten. Nicht nur war das ein unschönes Ende für diesen Tag gewesen, auch würde er Selina heute in der Schule vermutlich wieder sehen. Für einen Augenblick vergrub der Junge sein Gesicht in seinen Händen. "Warum lasse ich mich so davon beeinflussen?" Er sprach die Frage aus, um nicht vollkommen in seinen Gedanken zu versinken. Was sollte auch schon passieren? Selina würde sie mit Sicherheit nicht fressen. Das schlimmste, was passieren könnte war, dass sie ihn ignorieren würde. Kein schöner Gedanke und er würde sich trotz allem bei dem Mädchen entschuldigen, aber er würde damit leben können. Viel mehr Gedanken musste er sich wohl um seinen Job machen. Was würde wohl passieren, wenn er heute Abend wieder dort auftauchte? Erneut stöhnte Shinya auf und stand dann endlich auf, um sich fertig zu machen. Er musste sich beeilen, schließlich musste er noch Frühstück kochen, ehe sie zur Schule gingen.

Als das Mädchen durch Geräusche in der Küche aufwachte, rieb es sich erst einmal die Augen. Es war stockdunkel in ihrem Zimmer, doch Ayano war klar, dass es auch nicht sonderlich heller werden würde, bis sie zur Schule gingen. Sie hatte überaus gut geschlafen und dementsprechend schnell war die Bunthaarige auch wieder wach. Heute war sie beinahe noch etwas aufgeregt als gestern. Sie hatte bereits einen ersten Eindruck der Schule bekommen und heute würde sie dann genügend Zeit haben, um auch ihre Mitschüler und insbesondere die Infizierten in ihrer Klasse kennen zu lernen. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen stand sie möglichst leise aus ihrem Bett auf und verließ das Schlafzimmer von Yuiko und sich. Auch wenn Shinya sich beim Frühstück vermutlich nicht helfen lassen wollen würde, so konnte sie ihrem Bruder ja zumindest etwas Gesellschaft leisten. "Guten Morgen", begrüßte sie den Jungen mit überaus fröhlicher Stimme, die sie jedoch bedeckt hielt. Solange sie noch nicht aufstehen musste, wollte Ayano ihre kleine Schwester nicht wecken. Bei der ganzen Aufregung momentan, benötigte Yuiko den Schlaf mit Sicherheit. Mit ihrem Blick auf Shinya gerichtet, setzte sich Ayano an den Tisch. Wie immer roch das Frühstück überaus ansprechend. "Was gibt es denn heute?", fragte das Mädchen nach, obwohl es sich ziemlich sicher war, dass es sich um Pfannkuchen handelte.