Industriegebiet

Das Industriegebiet ist ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. Hier gibt es viele verlassene Fabriken, die mittlerweile größtenteils als Unterschlupf für Infizierte dienen. Es liegt am Rand der Altstadt in der Nähe des Waldes.

[Valerie und Cooro cf: Hochschule, Schulhof]

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie im Industriegebiet und dort an der alten Fabrik, die Cooro neulich entdeckt hatte, angekommen waren. Doch mit Valeries Gesellschaft war es nicht langweilig geworden und die Zeit schien wie im Fluge vergangen.
Valerie hatte in ihrer Annahme, dass die Fabrik in der Altstadt lag richtig gelegen und den Weg dorthin auch schon gekannt. "Sag mal, warst du schon öfters hier?" Das war der Schluss, den Cooro daraus zog. "Meine Mutter sagt immer, ich soll mich hier nicht rumtreiben, aber in der Neustadt gibt es nichts interessantes und in den Wald darf ich auch nicht alleine. Aber sag ihr nichts davon, okay? Ich will nicht, dass sie sich dauernd Sorgen um mich macht, immerhin kann ich gut auf mich selbst aufpassen." Cooro rieb sich verlegen den Hinterkopf. "Nicht dass du jetzt denkst, ich hör nicht auf meine Mutter." Meistens hörte er ja, aber er erkundete nun mal gerne neue Gebiete.

Was in der Fabrik, vor die sie nun standen, mal produziert wurde, wusste Cooro nicht, doch man konnte durch ein eingeschlagenes Fenster leicht ins Innere gelangen. Die meisten Gebäude hier waren verschlossen oder nur schwer zugänglich, oder eben nur langweilige Hallen in denen es nichts besonderes gab. Doch in dem Gebäude wurde nichts gelagert, der Junge hatte bereits damals einen Blick herein geworfen. Darin befanden sich Maschinen und so ein Kram. Er ging um die Ecke der Fabrik wo sich das Fenster befand. Man musste auf ein Geländer, welches sich darunter befand, klettern und konnte von dort aus dann durchs Fenster klettern.
"Da ist der Eingang", präsentierte Cooro stolz. Gedanken darüber, wie man aus dem Gebäude wieder herauskam, immerhin befand sich das Fenster auch von innen in einer luftigen Höhe, hatte sich der Junge natürlich keine gemacht, wozu auch?

Valerie fühlte sich etwas unbehaglich dabei, durch die Altstadt zu laufen. Die Straßen waren leer und es schien, als wäre es eine Geisterstadt. Sie hatte zwar kein schlechtes Bild von den Infizierten, trotzdem schien das Gerede der Gesellschaft Einfluss auf sie zu haben. Aufmerksam schaute sie sich um, während sie nah bei Cooro blieb.
Als sie schließlich ankamen, schaute sie sich die verlassene Fabrik an. Sie schien schon länger leer zu stehen, als die anderen Gebäude hier. Valerie konnte sich wirklich schönere Orte zum spielen vorstellen.
"Ähm nein, ich geh eigentlich gar nicht in die Altstadt." Das Mädchen drehte sich zu Cooro und zupfte ihre Jacke zurecht. "Und ich kann deine Mutter wirklich verstehen. Sie muss es wirklich schwer mit dir als Kind haben", scherzte Valerie. Es musste eine nette Frau sein und das Mädchen freute sich bereits darauf sie zu treffen.

Sie gingen um eine Ecke wo Cooro ihr ein Fenster als Eingang präsentierte. "Und du meinst das funktioniert?" Im Gegensatz zu dem Jungen schien sie doch ein paar Zweifel zu haben. Ohne zu zögern kletterte sie an dem Geländer hoch und spähte durch das scheibenlose Fenster ins Innere der Fabrik. Es war düster und still. Sie konnte nichts großartiges erkennen, auch nicht, als ihre Augen sich an die schlechten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten.
"Das ist zu hoch Cooro", merkte sie an. Der Junge hatte sich mittlerweile zu Valerie auf das Geländer gesellt und schaute ebenfalls in das Gebäude. "So kommen wir da nicht mehr raus." Sie richtete ihren Blick wieder auf Cooro, der ziemlich dicht bei ihr saß. Ob er daran schon gedacht hatte?

Cooro war ebenfalls das Geländer hochgeklettert und saß nun neben Valerie, der das ganze noch nicht sicher genug schien. Er musste zugeben, ihre Bedenken waren nicht grundlos. Es hatte schon etwas Anstrengung erfordert hier raus zu kommen und innen gab es kein Geländer. Dennoch würde er sich von so was nicht den Spaß verderben lassen.
"Mach dir keinen Kopf, irgendwie kommen wir dann auch wieder da raus, wenn nicht hier durch, dann wo anders. Oder wir können eine Räuberleiter machen." Cooro war von seinem Vorschlag überzeugt. Er packte Valeries Hand und spürte ihre Nervosität. Wenn er so die Gefühle anderer Menschen spüren konnte, konnte er auf diesem Weg vielleicht auch seine Empfindungen an andere weitergeben. "Na komm, das wird sicher lustig." Er lächelte breit und sprang dann mit Valerie ins Innere der Fabrik.

Als sie den Boden berührten wirbelte die dicke Staubschicht auf und erschwerte kurzzeitig zusätzlich die Sicht. Der Junge ließ Valeries Hand wieder los und ging ein paar Schritte in die Mitte des Raumes. Hier gab es nichts, es war einfach nur ein großer, leerer Raum von dem lediglich eine Tür abführte. Durch ein paar weitere Fenster viel düsteres Licht, in den meisten fehlte die Scheibe, einige waren sogar zugenagelt.
"Lass uns dahin gehn", Cooro lief los zu der großen Doppeltür, was sich wohl dahinter befand? Er war so aufgeregt, dass kein anderes Gefühl auch nur den Ansatz einer Chance hatte die Oberhand zu gewinnen. Wie zum Beispiel Vorsicht oder gar Angst.

"Ähm Cooro..." Valerie wollte etwas einwenden, als Cooro auf einmal ihre Hand nahm. Ihre Zweifel rückten in den Hintergrund und sie wurde neugierig, was sie in dem Gebäude wohl erwartete. War es das, was Cooro fühlte? Sie hatte davon gehört, dass Infizierte durch Körperkontakt kontrollieren können sollen, genau wie bei Blickkontakt. Das Mädchen war sich nie sicher gewesen, ob das wirklich auch stimmte.
Sie sprangen in die Fabrik und wurden von einer Staubwolke begrüßt. Hier drinnen war definitiv lange niemand mehr gewesen. Valerie schaute sich aufgeregt um, bis Cooro ihre Hand wieder los lies und umher lief. Ihre Bedenken waren nicht mehr so groß wie zuvor, dennoch wurde sie nachdenklich.

"Cooro?" Langsam folgte sie dem Schwarzhaarigen zu der Doppeltür. Sie hatte sich immer mit einem Infizierten anfreunden wollen und nun war sie hier mit Cooro. Sie hatte so viele Fragen. "Diese Fähigkeit, haben alle Infizierte sie?" Cooro würde kaum Probleme haben, über dieses Thema zu sprechen, er schien sowieso etwas Weltfremd. "Und kannst du auch meine Gedanken lesen?" Das war noch so eine Sache die man oft hörte. Sie wusste nicht einmal, wie sie reagieren würde, wenn es wirklich so wäre. Immerhin mochte niemand gerne, wenn man in seinen Gedanken herum schnüffelte.
Valerie nahm sich etwas zurück, um nicht noch mehr Fragen auf einmal zu stellen, auch wenn es schwierig war. Sie hatte den Jungen eingeholt und blieb zwei Schritte entfernt von ihm stehen, während sie ihre Hände knetete.

Bei der Tür angekommen versuchte Cooro diese zu öffnen, doch sie rührte sich nicht. Etwas enttäuscht versuchte er es mit mehr Kraft, bis auf ein metallisches Knarren war aber nichts zu hören. Er kratzte sich am Hinterkopf und drehte sich zu Valerie, die auf einmal sehr neugierig schien. "Welche Fähigkeit meinst du denn?" Der Junge schien sichtlich verwirrt und versuchte sich an irgendetwas ungewöhnliches, was er getan hatte, zu erinnern. Bei Valeries nächster Frage musste er aber lachen. "Hast du etwas genommen?" Er kicherte. "Wie kommst du darauf, dass ich so etwas wie Gedanken lesen kann?" Er stoppte kurz und schaute das Mädchen dann mit großen Augen an. "Kannst du etwa Gedanken lesen?" Wie kam sie denn auf einmal auf solche Gespräche? Cooro vergaß für einen Augenblick wo sie gerade waren und wandte sich ganz seiner neuen Freundin zu. Sie Beide bemerkten nicht, wie es draußen zu dämmern begann.

Nur wenige Schritte vor Cooro blieb auch Valerie stehen. Verwundert schaute sie den Jungen an. Er konnte das alles nicht spielen, war er wirklich so unwissend? Als der Schwarzhaarige auf einmal aber anfing zu lachen, verletzte sie das doch etwas, auch wenn er es nicht absichtlich tat. "Nein, ich kann keine Gedanken lesen", sie seufzte. Vermutlich hätte Cooro ihr auch geglaubt, wenn sie zugestimmt hätte. "Du bist doch ein... Infizierter. Und viele sagen ihr könnt Gedanken lesen, und eben hast du doch meine Gefühle beeinflusst, oder?" Sie senkte ihren Blick. Vermutlich machte dieses Thema Cooro nichts aus, doch ihr selbst war es unangenehm. Sie wurde wohl doch etwas mehr von ihrem Umfeld beeinflusst, als es ihr lieb war. Schließlich hob das Mädchen wieder ihren Blick, damit sie Cooros Reaktion beobachten konnte.

"Ach so", ein wenig enttäuscht war Cooro schon, dass das Mädchen keine Gedanken lesen konnte. Doch dann merkte er wieder auf. "Ich soll Gedanken lesen können? Ist mir bis jetzt noch nie aufgefallen. Kannst du mir zeigen wie?" Valerie schien ja Ahnung zu haben. Er wusste mittlerweile zwar, dass Infizierte anders sein mussten, als andere Menschen, aber er hatte wenig Grund sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. "Deine Gefühle? Na ja, wenn ich Leute berühre dann spür ich wie sie empfinden und ich dachte vielleicht, dass das anders rum auch möglich ist. Wolltest du das etwa nicht?" Seit sich an seiner letzten Schule alle von ihm abgewandt hatten, weil er ein Infizierter war, wollte er jetzt nicht schon wieder Fehler deswegen machen. Valerie schien jedoch nicht böse auf ihn, eher sehr neugierig. Er konnte es verstehen, langsam wurde Cooro auf sich selbst neugierig.

"Ach herrje", murmelte Valerie. "Cooro sag mal, weißt du denn gar nichts über dich? Ich mein das jetzt nicht böse, aber du verhälst dich so, als würdest du denken du wärst ein ganz normaler Mensch." Vielleicht war er sich selbst wirklich nicht im Klaren darüber, was er war. "Ich würde dir gerne helfen, wenn ich wüsste wie. Vielleicht..." Es wurde immer gesagt man solle Augen und Körperkontakt vermeiden. Wenn man bei Körperkontakt Gefühle spürte, dann... Valerie hob ihren Blick zu Cooros Augen und blickte fest in diese. Ein seltsames Kribbeln durchzog ihren Körper. "Fühlst du etwas? Oder so..." Das Sprechen viel ihr außergewöhnlich schwer. War es das, wovor immer gewarnt wurde? Sie hatte schon öfters gehört, dass Leute wegen so etwas zusammen brachen. Sie wusste nie ob sie dem Gerede glauben konnte, doch nun. Mit viel Kraft gelang es ihr den Blick zu lösen, augenblicklich ging es ihr besser. Das war seltsam gewesen. "Und?" Nervös wartete sie auf eine Reaktion.

"Ähm" Valeries Worte machten den Jungen etwas stutzig. "Wie meinst du das jetzt? Ich bin doch ein ganz normaler Junge. Ich wurde wie andere Kinder von meiner Mutter aufgezogen. Na ja", er zögerte. "Ich hab so ne Krankheit. Eigentlich darf ich niemandem davon erzählen, also sags nicht jedem weiter. Ich muss regelmäßig Tabletten nehmen, sonst werde ich sehr schwach. Aber das hab ich schon seit ich klein bin." Er machte zwar sonst auch viele Sachen die ihm seine Mutter verbat. Doch das war etwas, was sie ihm immer wieder eingetrichtert hatte nicht davon zu erzählen. Aber bei Valerie war das sicherlich in Ordnung.

Auf einmal suchte Valerie direkten Blickkontakt. Cooro wusste nicht was sie damit bezwecken wollte, doch er strengte sich ebenfalls an. Vielleicht konnte er ja wirklich Gedanken lesen. Ähnlich wie bei Gabriel damals spürte er etwas, doch es war anders. Irgendwie fühlte er sich mächtig. Als er gerade diesem Gefühl nach gehen wollte unterbrach das Mädchen den Blickkontakt wieder. Sie schien erschöpft. "Sorry, ich hab keine Gedanken gehört." Enttäuscht war er schon. "Geht es dir gut?" Fragte er vorsichtshalber nach. Für Valerie schien das Ganze anstrengend gewesen zu sein.

Bei Cooros Worten fühlte sich Valerie komisch. Es schien so, als wäre er bei Menschen aufgewachsen und hätte nie irgendwie Kontakt mit anderen Infizierten gehabt. Wie konnte er da wissen was er war. Trotzdem wurde er von der Gesellschaft ausgeschlossen, obwohl er sich wie jeder andere auch verhielt. Der Junge tat ihr leid, weshalb sie nicht weiter auf dieses Thema einging.

"Ist schon in Ordnung", meinte Valerie leise. Vielleicht konnten Infizierte doch keine Gedanken lesen, zumindest schien Cooro es nicht zu können. "Bei mir ist alles klar", sie lächelte den Jungen an. "Das war anstrengender als erwartet, aber ich wollts ja unbedingt wissen." Das Mädchen machte eine kurze Pause. "Du Cooro, sag mal hast du ne Taschenlampe dabei?" Zwar hatte sie noch immer Fragen, doch das war ihr gerade wichtiger. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass es dunkel geworden war und nun konnte sie Cooro in der eh schon düsteren Halle kaum noch sehen. Außerdem begann sie zu frieren, die Temperaturen waren noch weiter gefallen. Das war ja wirklich ein tolles Abenteuer.

Hm, Valerie war schon etwas seltsam, aber scheinbar hatte sie nun keine Lust mehr über Gedankenlesen zu reden, stattdessen fragte sie nach einer Taschenlampe. Cooro schaute sich kurz um, tatsächlich war es draußen bereits dunkel geworden, trotzdem konnte er noch bestens sehen. "Sorry, ich habe keine Taschenlampe dabei. Weißt du, ich konnte schon immer sehr gut im Dunkeln sehen, deswegen brauch ich sowas nicht." Er lächelte das Mädchen an und überlegte dann kurz. "Siehst du etwa nichts mehr? Vielleicht finden wir ja einen Lichtschalter hinter der Tür hier." Die Doppeltür hatte er tatsächlich kurz vergessen, aber jetzt da Valerie nicht mehr reden wollte, konnten sie ja versuchen, diese zu öffnen. "Na komm, zusammen kommen wir da ganz schnell rein."

"Ähm, Cooro?" Der Junge hatte also Nachtsicht? Das war sicher sehr praktisch für ihn, aber Valerie brachte das wenig und sie bezweifelte auch, dass es hier noch Strom gab. Langsam aber sicher wurde sie unruhig. Nicht nur dass sie sich in der Altstadt befand, wo sie eh nicht hin durfte, es wurde auch noch dunkel. Und in diesem Punkt glaubte sie dem Gerede der Leute wirklich, in der Gegend trieben sich einige Vampire herum. Dass sie mit Cooro einen Vampir an ihrer Seite hatte, beruhigte sie nicht im geringsten, immerhin schien er selbst nicht viel mehr als ein Mensch zu können.

"Ehrlich gesagt würde ich jetzt lieber nach Hause gehen." Unsicher schaute sie zu dem Jungen, der sich bereits wieder der Tür zugewandt hatte. "Es war zwar lustig mit dir, aber meine Eltern machen sich sicher Sorgen um mich." Dass sie selbst sich unwohl fühlte, würde Cooro sicher nicht überreden, schien er sich selbst doch keiner Gefahr bewusst. Aber gegen die Sorgen ihrer Eltern konnte er wohl kaum etwas sagen.

Erneut drehte sich Cooro zu dem Mädchen um, sie schien das wohl ernst zu meinen. "Oh, deine Eltern?" Da fiel ihm ein, dass seine Mutter wohl auch auf ihn wartete. Sie hatte sich gestern schon so viele Sorgen gemacht, vielleicht sollte er nicht immer so gedankenverloren sein. "Du hast recht, ich will nicht schon wieder Ärger bekommen." Er grinste kurz schief und schaute sich dann um. Das Fenster durch das sie gekommen waren, war zu hoch, als dass sie einfach so wieder rausklettern konnten. "Mal schauen, vielleicht wenn wir eine Räuberleiter machen?" Fragend schaute er zu dem Mädchen, das einiges größer war, als er selbst. Vielleicht konnten sie das wirklich so schaffen. Alternativ konnten sie auch schauen, was sich hinter der Tür befand, auch wenn sie kaum nach draußen führen würde. Vielleicht fanden sie da etwas, was ihnen helfen konnte.

Zweifelnd folgte sie Cooros Blick zu dem Fenster. Valerie glaubte kaum, dass ihnen eine Räuberleiter da weiterhelfen würde, das waren fast drei Meter. Selbst wenn der obere es schaffen würde, sich da hoch zu ziehen, würde der andere zurück bleiben. Wie hatte sie sich nur zu so etwas dummen verleiten lassen können? Letztendlich war Cooro doch nur ein kleiner Junge. "Also ich weiß ja nicht, wir bräuchten irgendwas zum drauf stellen." Sagte sie leise und schaute sich kurz um. Es war einfach zu dunkel, als dass sie etwas in der Halle erkennen konnte. "Cooro, siehst du hier irgendwas?" Sie ging ein paar Schritte zurück zum Fenster. Die blöde Tür konnte ihr gestohlen bleiben. Valerie war ziemlich sicher, dass sie fest verschlossen war und sie sie auch nicht zu zweit aufbrechen konnten. Cooro hatte besser einen guten Plan parat, sonst wäre er vermutlich derjenige, der hier zurück blieb.

[Gabriel cf: Napolia Altstadt, Gabriels Unterschlupf]

Gabriel war dem Geruch bis zu einer alten Fabrik, die wohl schon sehr lange nicht mehr in Gebrauch war, gefolgt. Unter einem der Fenster standen Kisten und von drinnen waren tatsächlich Stimmen zu hören. Dort blieb er stehen und lauschte kurz. Er konnte ein Mädchen und einen Jungen hören, was hatten die hier um diese Zeit zu suchen? Das war doch kein Spielplatz. Außerdem fühlte Gabriel etwas seltsames, irgendwas war hier komisch. Sicherlich war er nicht der Einzige, der hierauf aufmerksam geworden war, vielleicht sollte er sich schnell darum kümmern. Er fühlte sich nicht verantwortlich für diese Kinder, aber er wollte auch nicht schuld sein, weil er nichts getan hatte.

Er überlegt kurz sich anzuschleichen, entschied sich dann aber doch für den direkten Weg. Er hatte keine Zeit für diese Spielchen. Also sprang er durch das Fenster ins innere der Fabrik, wo er nur wenige Schritte von einem Mädchen entfernt stehen blieb. Sie war tatsächlich ein Mensch, der Junge hinter ihr dagegen nicht, was das hier alles auch sofort erklärte. "Cooro", stellte Gabriel tonlos fest und schaute an dem Mädchen vorbei. Was dachte sich dieser Kerl nur dabei einen Menschen derartige in Gefahr zu bringen? Das er den Jungen doch nochmal traf und dann auch noch hier und heute konnte wirklich nur ein schlechter Scherz sein, dem ihm das Schicksal hier spielte.

"Ähm", gerade als Cooro sich umschaute, ob hier irgendetwas nützliches zum draufstellen herumlag, kam jemand durch das Fenster herein. Überrascht schaute er zu dem Mann, der nur wenige Schritte von Valerie entfernt stand. Kaum dass er seinen Namen hörte, wusste er auch schon, wen er da vor sich hatte. "Gabriel", begrüßte er ihn freudig. "Ist ja ein Zufall, dass wir uns hier treffen. Aber jetzt bist du auch hier drin gefangen, wir suchen eigentlich gerade einen Weg nach draußen." Cooro kam näher und blieb neben Valerie stehen.

"Ach ja, das da ist übrigens Valerie, eine Freundin aus der Schule", stellte er das Mädchen vor und wandte sich dann an dieses, während er auf Gabriel deutete. "Und das da ist Gabriel, ich habe ihn gestern kennen gelernt und er ist echt cool." Der Junge freute sich sehr, dass er Gabriel so schnell wieder sah. Mit seiner Hilfe würden sie auch sicher schnell hier heraus kommen und nach Hause können.

Valerie zuckte merklich zusammen, als auf einmal jemand vor ihr auftauchte. Kurz musterte sie den jungen Mann, der ungewöhnlich weißes Haar hatte, das sie selbst in dieser Dunkelheit erkennen konnte. Sie tat einen Schritt zurück, war ja klar das es so kommen musste. Obwohl sie sonst sehr offen war, war sie nun doch mehr als nur beunruhigt, sie hatte Angst. Doch der Mann schien sich weniger für sie, als für Cooro zu interessieren, anscheinend kannte er ihn. Als Cooro sie sich dann gegenseitig vorstellte, war das Mädchen mehr als unsicher. Sie kannte nun Cooro schon ein bisschen, und dieser Gabriel schien nicht sonderlich begeistert ihn zu sehen, wer wusste schon was da gestern vorgefallen war. Dennoch gab sie sich einen Ruck.

"Ähm, hallo... freut mich... dich kennen zu lernen." Sie lächelte unsicher und schaute dann kurz zu Cooro, sie wollte Gabriel nicht zu lange aus den Augen lassen. Der Junge schien keinerlei Gespür für Gefahr zu haben. Also wie konnte sie sich sicher sein, dass Gabriel wirklich ein Freund war, beziehungsweise, dass er Menschen nichts tat. Schnell schüttelte Valerie diesen Gedanken ab. Wieso war sie denn jetzt so negativ? Sie gab sich mühe, wieder etwas ruhiger zu werden, groß was ändern konnte sie jetzt eh nicht mehr.

Gabriel musterte das Mädchen, diese Valerie, kurz mit seinem kühlen Blick ohne ihre Begrüßung zu erwidern. Die hatte vielleicht Nerven. Auch wenn er spüren konnte, dass sie nicht annähern so ruhig war, wie sie versuchte sich zu geben. Er war sich ziemlich sicher, dass das auf Cooros Mist gewachsen war, auch wenn das Mädchen selbst Schuld war, wenn sie sich mit einem Vampir abgab. Aber was ging ihn das an.

"Es ist sicher kein Zufall, dass ich hier bin. Was denkst du eigentlich, was du hier machst?" Nun ließ er doch etwas seines Ärgers in seiner Stimme durchscheinen. Heute war wirklich nicht sein Tag. "Ich bin sicher nicht der Einzige, der sie riecht." Er trat näher an Valerie heran und musterte sie dann noch einmal etwas länger. "Komm mit", sagte er schließlich einfach und packte das Mädchen an der Taille, um mit einem kräftigen Sprung wieder durch das Fenster zu springen. Unglaublich, dass er hier jetzt auch noch den Retter für irgendein Kind spielen durfte, dabei war er doch auf Jagd. Während er Valerie draußen wieder losließ, ließ er seinen Blick kurz über sie schweifen. Ob es Cooro stören würde, wenn er etwas von ihr trank?

"Hey!" Auf einmal packte Gabriel Valerie und verschwand mit ihr durch das Fenster. Sofort hatte er Gabriels tadelnde Worte von eben vergessen, ohne groß über diese nachgedacht zu haben. Er hatte sowieso nicht wirklich verstanden, was nun so schlimm hieran war. Ohne groß zu zögern folgte er dem jungen Mann mit einem ebenfalls sehr eleganten Sprung. Es überraschte ihn selbst, dass er einfach so drei Meter hoch springen konnte, ohne sich groß anstrengen zu müssen. Er blieb neben den beiden stehen und schaute in den Himmel, wo bereits wieder Wolken aufzogen.

"Danke für deine Hilfe Gabriel, du bist wirklich total nett." Breit grinsend bedanke er sich bei dem Weißhaarigen und schaute dann zu Valerie. "Sollen wir schnell nach Hause? Nicht dass du noch Ärger bekommst." Am liebsten hätte er noch etwas mit Gabriel gemacht, aber er musste genauso heim und eine Einladung würde er sicher auch heute wieder ablehnen.

Gabriels Worte beunruhigten Valerie wieder etwas mehr. Er war definitiv ein Vampir und scheinbar war es ein leichtes für ihn gewesen, sie hier aufzuspüren. Als er ihr auf einmal näher kam, konnte sie nicht mehr, als überrascht sein. Er sprang mit ihr im Arm durch das Fenster als wäre es nichts. Obwohl sie wohl eher ängstlich sein sollte, immerhin hatte sie keine Chance gegen Gabriel, war sie vielmehr fasziniert von diesem Gefühl. Es war anders, als wenn Cooro sie berührte, als würde der Mann eine gewisse Kälte ausstrahlen, die nun geradewegs in sie hinein floss. Auch nachdem sie wieder losgelassen wurde, war sie sich nicht sicher, ob Gabriel nun ein Freund oder Feind war. Aus seinen Gefühlen war sie nicht wirklich schlau geworden.

Dass Cooro plötzlich neben ihr auftauchte, erleichterte Valerie zwar ungemein, aber sie fragte sich auch, warum er ihr nicht gleich gesagt hatte, dass er da wieder alleine raus kam. "Ähm" Sie war noch vollkommen durcheinander von Gabriels Gefühlen, oder was auch immer sie da eben gespürt hatte. Außerdem war sie sich nicht mal so sicher, ob sie nun wirklich einfach so gehen konnte. Kurz blickte sie zwischen den beiden Vampiren hin und her. "Denkst du es ist so gut hier bei Nacht einfach so rumzulaufen?", fragte sie schließlich an Cooro gerichtet. Sie hatte beschlossen, Gabriel erst einmal nicht als Feind zu sehen, immerhin hatte er ihr gerade geholfen. Er schien einfach nicht sonderlich gesellig zu sein.

Er hätte nie gedacht, dass ihm mal jemand dermaßen auf die Nerven gehen konnte. Natürlich war Cooro einfach nur naiv, auch wenn er nicht glauben konnte, dass es wirklich eine derartige Form der Naivität gab. "Deine Menschenfreundin scheint mehr Verstand zu haben, als du selbst", sagte er schließlich an Cooro gewandt, ohne es wirklich beleidigend zu meinen. Aber immerhin schien sich das Mädchen durchaus einer Gefahr bewusst zu sein, immerhin misstraute sie, zurecht, auch ihm. "Ich bin auf den Weg in die Stadt, also..." Einfach unglaublich, was er hier gerade anbot. Würden sie angegriffen werden, und die Wahrscheinlichkeit dafür war sehr hoch, würde er nichts machen können. Außerdem könnte man ihn für einen Kämpfer halten, was durchaus seinem Ruf, den er hier sowieso noch nicht hatte, schaden konnte. Noch schlechter konnte dieser Tag wohl kaum noch werden, oder? Gabriel wollte jetzt einfach nur in die Stadt und endlich etwas frisches Blut bekommen. Valerie würde er ja doch nicht anrühren können, dafür tat ihm Cooro zu leid. Also ging er einfach los, ob die beiden ihm nun folgten oder nicht war deren Entscheidung, er hatte schon genug Zeit vertrödelt.

Fragend schaute Cooro Gabriel hinterher. "Ach ja, weil manche Infizierte ja Blut trinken", kam es ihm schließlich nach kurzem Grübeln. "Haha, wir haben echt Glück, dass wir Gabriel begegnet sind, er ist halt doch echt nett", sagte er schließlich an Valerie gewandt und griff dann einfach nach ihrer Hand. "Na komm, wir wollen doch nicht, dass er uns abhängt, oder?" Das Mädchen hinter sich herziehend holte er zu Gabriel auf, der nicht gerade langsam ging. Anscheinend hatte er es etwas eilig.

"Wohin bist du denn genau unterwegs?", fragte Cooro, nachdem sie bei dem jungen Mann angekommen waren und ließ Valeries Hand wieder los. Er wusste schon von gestern, dass Gabriel nicht besonders gesprächig war, aber er konnte ja den Großteil des Gespräches übernehmen. Es gab so viele Sachen, die er den Weißhaarigen fragen konnte, irgendwas würde ihm da sicher einfallen.

Valerie fühlte sich etwas außen vor gelassen, scheinbar hatte Gabriel noch weniger Lust mit ihr, als mit Cooro zu reden. Aber sie war ihm schon dankbar genug, wenn er sie einfach nach Hause brachte. Für heute hatte sie wirklich genug Abenteuer gehabt. Wenn Cooro sich mit seinem Angeblichen Freund unterhalten wollte, würde sie ihn nicht daran hindern, doch gerade begnügte sich Valerie damit, schweigend neben Cooro und hinter Gabriel herzulaufen. Bisher hatte sie sich für so mutig gehalten, doch eben hatte sie wirklich Angst gehabt, das ließ ihr gerade einfach keine Ruhe. Aufmerksam ließ sie ihren Blick über die Gebäude schweifen, an denen sie vorbei kamen. Wann sie wohl endlich das Industriegebiet hinter sich lassen würden? Der Hinweg war nicht so lang gewesen, da war sie sich ziemlich sicher.

[Nicolae cf: Napolia Altstadt, Gabriels Unterschlupf]

Überraschenderweise standen viele der Fabriken hier im Industriegebiet leer, so dass es ein leichtes für Nicolae gewesen war, einen Unterschlupf bis zum Abend zu finden. Er war eben durch einen überaus verführerischen Geruch wach geworden, doch was er nun sah, war überaus amüsant. Er befand sich im ersten Stock einer der Fabriken und hatte eine gute Sicht auf die Straße unter sich, auf der gerade drei Gestalten vorbei gingen. Die Sonne war bereits untergegangen und es war ziemlich dunkel, doch seine stechend gelben Augen drangen problemlos durch diese Finsternis. Unter sich erkannte er nicht nur Gabriel, war ja klar, dass er den nicht loswerden würde, und einen anderen sehr jungen Vampir, sondern auch einen Menschen. Das würde ihm die Jagd ungemein erleichtern. Doch das war es nicht, was er so lustig fand.

Er war sich ziemlich sicher, dass Gabriel noch nichts gejagt hatte, und nun geleitete er dieses Mädchen nach Hause wie es schien. Vielleicht war der Junge ja ein Freund von ihm, aber eigentlich konnte ihm das alles doch völlig egal sein. Wie es schien würde er heute wieder einmal Gabriels Beute wegschnappen. War der Kerl doch selbst Schuld, wenn er immer alles so lange heraus zögerte. Er erhob sich und verließ das Gebäude recht schnell, nicht dass noch ein anderer diesen Plan hatte.

Geräuschlos näherte er sich den beiden Kindern, die etwas hinter Gabriel herliefen. "So sieht man sich wieder." Er blieb dicht hinter ihnen stehen. Und auch wenn seine Worte an Gabriel gerichtet waren, ging Nicolae davon aus, dass auch die anderen beiden stehen blieben. "Da du an der hier kein Interesse zu haben scheinst, wird es dich sicherlich nicht stören, wenn ich mich ihrer annehme." Er deutete zwar auf das Mädchen, doch seine gelben Augen fixierten den Weißhaarigen. Warum nicht ein Spiel daraus machen? Irgendwie hatte er seinen Spaß an dem anderen gefunden, auch wenn dieser nur darin bestand ihn zu ärgern.